Multifunktionale Energiefassaden

Dezentral und modular integrierbare Technologien

Text: Manfred Starlinger | Foto (Header): © danielschoenen – stock.adobe.com

Fassaden werden smarter und damit auch komplexer. Einerseits steigen die Ansprüche an visuellen und thermischen Komfort, andererseits müssen Gebäude deutlich mehr zur Dekarbonisierung beitragen. CO2-Verminderung bedeutet nichts anderes als vehemente Reduzierung des Energieverbrauchs oder sogar die Umkehr – Gewinnung von Energie. Die Gebäudehülle avanciert dabei zum Energiewandler. Im Idealfall erzeugen Gebäude mehr Energie als sie verbrauchen. Welche Technologien kommen dafür infrage?

Auszug aus:

EnEV Baupraxis
Fachmagazin für energieeffiziente Neu- und Bestandsbauten
Ausgabe Juli / August 2018
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Erst jüngst wurde die unter der Abkürzung EPBD (Energy Performance of Building Directive) bekannte EU-Richtlinie aus dem Jahr 2010 novelliert. Sie setzt die Energiestandards für neu zu errichtende und zu sanierende Gebäude bis 2030. Etwa 40 % des Energieverbrauchs ist Gebäuden zuzuschreiben. Den Rest teilen sich Verkehr und Industrie zu annähernd gleichen Teilen.

Die erforderlichen Schlüsseltechnologien für aktive Energieerzeugung in der Gebäudehülle müssen nicht neu erdacht werden. Sie existieren bereits und halten seit einigen Jahren Einzug ins Projektleben vornehmlich innovativer, sogenannter Leuchtturmprojekte. Wertvolle Erkenntnisse zu Leistungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit konnten vielfach über begleitendende Monitoring- und Evaluierungsprogramme gewonnen werden. Heute stehen ausgereifte Technologien für Solarfassaden zur Verfügung, die – richtig geplant und flächendeckend eingesetzt – langjährig und zuverlässig ihren Dienst versehen werden.

Energieerzeugende Fassaden, korrekter beschrieben als energiewandelnde Fassaden, setzen grundsätzlich auf das Potenzial der Sonnenenergie als erneuerbaren Träger, teils in Verbindung mit geothermischer Wärmeeinkopplung. In diesem Beitrag liegt der Fokus auf der Wandlung und Nutzung solarer Energie.

Unterschieden wird in wärmetechnischer (Thermie) und elektrischer (Photovoltaik) Wandlung. Eine weniger bekannte Technologie, die bioreaktive Fassade, erzeugt neben Wärme zusätzlich Biomasse.

 

Solarthermische Energiefassaden – BIST

Sonnenkollektoren zur Wärmeerzeugung finden seit den 1980er-Jahren weltweit starke Verbreitung. Allein in 2008 wurden in Deutschland über zwei Millionen m2 Kollektorfläche verbaut, primär zur Brauchwassererwärmung. Neben Vakuumröhren, die aufgrund der Bauweise höhere Temperaturen liefern, werden größtenteils Flachkollektoren mit selektiv beschichteten Absorbern verwendet und überwiegend auf das Dach aufgesetzt.

Fassadenlösungen zeigen häufig auf bestehende Wände „aufgepfropfte“ Lösungen. Elegantere Konzepte, in denen der Kollektor vollständig in das Fassadensystem integriert ist (bauwerkintegrierte Solarthermie – BIST), bilden immer noch die Minderheit.

Fassadenintegration demonstriert beispielhaft die Unipower Pro Energiefassade der Firma Unimet aus Österreich, vorrangig für den Einsatz in Industrie-, Gewerbe- und Sporthallen entwickelt. Die Kollektoren sind in gängige P/R-Fassaden integrierbar. Absorberlängen von bis zu 7 m erlauben gebäudehohe Kollektorfelder. Selbst Achsraster sind flexibel gestaltbar. Die solarthermisch aktiven Felder können im Wechsel mit Belichtungs- und Belüftungselementen kombiniert werden. In den Flachkollektoren, die im dualen Betrieb gefahren werden, wird neben Wasser auch Luft erwärmt. Reicht die Einstrahlung zur Wassererwärmung nicht mehr aus, wird Luft, die die Absorber umstreicht, als Niedertemperaturwärme der Hallenluft zugeführt. Im Mittelpunkt steht bei dieser Anwendung nicht die Brauchwassererwärmung, sondern die Beheizung von Räumen. Die steilere Anstellung der Kollektoren korreliert dabei vorzüglich mit dem Heizenergiebedarf im Winter und den Übergangsmonaten. Südorientierte Fassaden spielen da ihre Überlegenheit aus und führen zudem zu moderaten  Betriebstemperaturen im Sommer (Vermeidung hoher Stillstandstemperaturen),  sodass Anlagenkomponenten schonender betrieben werden. In Verbindung mit ausreichend dimensionierten Pufferspeichern sind solare Deckungsraten von 50 % und mehr zu erzielen. Wesentliche Bausteine sind die Wärmespeicherung und -nutzung. Flächenheizungen, energetisch aktivierte Speichermassen und Niedertemperaturbetrieb erlauben hocheffiziente ökologische Lösungen, die sich selbst ökonomisch darstellen lassen. Als Backup System kann jede beliebige konventionelle Heizung eingebunden werden. Der Einsatz von effizienten Wärmepumpen befördert den Umweltgedanken besonders dann, wenn die benötigte elektrische Hilfsenergie erneuerbar bereitgestellt wird.

Integrale energetische Fassadenkonzepte müssen nicht nur visuell attraktiv sein, sie müssen auch sämtliche Anforderungen an Statik und Bauphysik erfüllen, da sie wie herkömmliche Fassaden neben Feuchte-, Wärme-, Schall- und Brandschutz, Tageslichtversorgung und Lüftung sicherstellen müssen.

 

Solarelektrische Energiefassaden – BIPV

Photovoltaische Anwendungen wandeln Sonnenstrahlung direkt in elektrischen Strom. Und das lautlos und vollkommen emissionsfrei, basierend auf dem photoelektrischen Effekt, ein Geschenk der Natur an den Menschen. Großartiger Zusatzeffekt ist die Skalierbarkeit der Anlagen, die vom mW für Taschenrechner bis zum dreistelligen MW-Bereich für Solarparks reicht. Im Gegensatz zu fossilen Energieträgern wird auch hier die Primärenergie frei Haus geliefert. Für Fassaden finden fast ausschließlich Spezialmodule Verwendung, eine Technik, die mit dem Kürzel BIPV (bauwerkintegrierte Photovoltaik) bezeichnet wird. Module dieser Art sind in Größe (Ertex Solar fertigt Abmessungen bis zu 5,4 x 2,4 m), Design und Aufbau wählbar. Überwiegend werden kristalline Solarzellen – mono- oder polykristallin – verwendet. Gängige Zellgrößen mit 156 mm Kantenlänge werden zu Modullayouts laminiert und bilden als Glas-Folien- oder Glas-Glas-Modul händelbare Bauelemente. Fassadenanwendungen zeigen fast ausschließlich Glas-Glas-Lösungen. Das hat zum einen baurechtliche Aspekte – Anforderungen an Fassaden sind komplexer als an Dächer (abZ, ZiE, Resttragverhalten, Brandschutzvorschriften etc.), zum anderen gestalterische. Die Fassade gilt weithin als Visitenkarte des Gebäudes, entsprechend findet sich die Handschrift von Architekten und Planern dort wieder. Insgesamt ist ein Trend zur Glas-Glas-Modultechnik zu verzeichnen, was die ohnehin hohe Lebensdauer von Modulen nochmals positiv beeinflusst. Eisenarme und gehärtete Frontgläser erhöhen Stabilität und Transparenz und somit auch die Stromausbeute. Perforierte Solarzellen ermöglichen Durchsicht und dämpfen die Schlagschattenwirkung, verbessern damit deutlich den visuellen Komfort. Solarzellen können aus Gründen der Gestaltung in verschiedenen Farben hergestellt werden. Farbfolieneinlagen oder bedruckte Gläser vergrößern den gestalterischen Spielraum. Neben der kristallinen Zelltechnik etablierte sich in den vergangenen Jahren die Dünnschichttechnik. Diese zeichnet sich durch ein homogenes optisches Erscheinungsbild aus. Kostengünstig lässt sich mit den Standardformaten der jeweiligen Hersteller planen. Überproportionale Kostensteigerung stellt sich bei Dünnschicht-Sonderformaten ein. Für kosteneffiziente Dünnschichtlösungen in der Fassade empfiehlt sich die frühzeitige Einbeziehung der Modulhersteller in den Planungsprozess (Festlegung von Gebäude-Hauptrastern, Raum für Leitungsführung). Eine Herangehensweise, die bei der  olararchitektur grundsätzlich beherzigt werden sollte. Erzielt kristalline Technik Gesamtwirkungsgrade von bis zu 20 %, bewegt sich leistungsstarke Dünnschichttechnik (CIS Module) bei ca. 13 %.

Den oftmals empfundenen optischen Nachteil kristalliner Module versucht man aktuell durch dünnste Farbaufträge auf dem Frontglas zu begegnen, als Sieb- oder Digitaldruck. Diese Farbschichten verdecken die Solarzellentechnik. Je nach Farbwahl und Schichtstärke reduziert sich zwar der Wirkungsgrad um 10 bis 30 %, allerdings zu Gunsten neuer gestalterischer Spielräume für Architekten und Planer. Hochinteressant für den Bereich von hinterlüfteten Fassaden, die sich großflächig energetisch aktivieren lassen.

Eine weitere vielversprechende Technologie setzt auf den Einsatz von organischen Materialien (OPV). Schon fast legendär die organische Farbstoffzelle, auch bekannt als Grätzel-Zelle. Entdeckt und entwickelt von Prof. Grätzel vom EPFL Lausanne. Diese Technologie zeichnet sich durch leichte Applizierbarkeit auf diverse Trägermaterialien, geringes Gewicht, bessere Verwertung von Diffuslicht, Erzielung von Teiltransparenzen und damit interessantes zukünftiges Spielfeld für die Solararchitektur aus. Im Labor lassen sich bereits Wirkungsgrade jenseits von 12 % reproduzieren. Großanwendungen bewegen sich gegenwärtig bei 2 bis 3 %. Die Langzeitstabilisierung steht dabei im Blickpunkt der Entwickler.

Neben den baurechtlichen Aspekten sind bei energetischen Fassadenlösungen planerische im Besonderen zu berücksichtigen. Ertragseinbußen durch Modulverschattungen sollten entweder vermieden oder durch ein optimiertes elektrisches Konzept auf ein Minimum reduziert werden. Verdeckte Kabelführung gilt es ebenso zu bedenken wie Blitzschutzeinbindung und leichte Zugänglichkeit zu Wartungskomponenten. Frühzeitige Konsultation von Fachplanern und spezialisierten Herstellern ist in der Regel Garant für gelungene Solararchitektur, die durch exzellente Performance besticht, ohne die Handschrift des Architekten zu verwässern. Interessierte Bauherren und Planer finden z. B. über den Verband „Allianz BIPV“ einen breit aufgestellten Kreis von Fachplanern, einschlägigen Instituten und Herstellern.

 

Solartechnik – Strom oder Wärme?

Der Begriff Solartechnik wird mittlerweile fast ausschließlich mit Photovoltaik (PV) assoziiert. Die Solarthermie (ST) wird allmählich verdrängt. Zu Unrecht, wie sich einfach darstellen lässt. Die ST punktet beim Systemwirkungsgrad. 60 % und mehr werden erzielt und in nutzbare Wärmeenergie umgesetzt.

Die PV erreicht knapp 20 %, erzeugt aber die Edelenergie Strom, die bekanntlich in jede andere Energieform wandelbar ist. Speicherkosten sind bei der ST deutlich geringer. So sind bei der ST je kWh Wärme ca. 10 bis 30 Euro zu berappen, während Speicherkosten für Li-Ionen Akkus mit dem hundertfachen zu Buche schlagen. Werbung zu modernen Heizkonzepten zielt verstärkt auf Wärmepumpentechnik ab und wird als optimal in Verbindung mit PV propagiert. Untermauert wird dies durch das Jahresbilanzdenken. ¾ liefert die Umwelt frei Haus und nur ¼ Strom ist beizusteuern und dieses Viertel hol ich mir aus der PV, so die weit verbreitete Denkweise, selbst unter Fachleuten. Ein Irrweg, da die saisonale Verschiebung von Solarangebot und -nachfrage schlicht unterschlagen wird. Mittlerweile als „saisonale Illusion“ in der Fachpresse wiederholt beschrieben. Der nüchterne Blick zeigt: 5/6 der solaren Ernte werden in den Sommermonaten eingefahren, während 5/6 des Heizenergiebedarfs in den Wintermonaten zu decken sind. An Verschiebung (Speicherung) von Energie führt kein Weg vorbei, sollen die gesteckten Klimaschutzziele bis 2030 bzw. 2050 auch nur annähernd erreicht werden.

Mehr als 75 % der Energie eines Durchschnitthaushalts wird für Raumwärme aufgewandt. Mit Berücksichtigung von Warmwasser resultieren stattliche 87 % Wärmebedarf. Muss für die Bereitstellung von durchschnittlich 22 °C Raumtemperatur die Edelenergie Strom in großem Stil verwendet werden? Der großflächige und ausschließliche Einsatz von Wärmepumpen ließe das Stromnetz kollabieren, da selbst die energieeffizienten erdgebundenen Elektro-Wärmepumpen bei durchschnittlichen Jahresarbeitszahlen (JAZ) von 4 noch mit 25 % elektrischen Strom „beigefüttert“ werden müssen. Strom- und Speicherkapazitäten, die künftig für die E-Mobilität bereitgestellt werden müssen.

Es geht nicht darum, die eine Technik gegen die andere auszuspielen. Es geht vielmehr um sinnvolle Kombinationen dieser vorzüglichen Techniken, die zu Energieeffizienz, CO2-Neutralität und Versorgungssicherheit führen. Nur mit dem gesamten Arsenal an erneuerbaren energieerzeugenden Fassadentechnologien lassen sich Energie-Plus-Gebäude umweltverträglich realisieren. Ein konsequenter Schritt für die Weiterentwicklung der Gebäudetechnik und für die Umsetzung der Klimaschutzziele.

Eine Herausforderung für innovative und kreative Architektur.

Der Autor

Manfred Starlinger
Dipl.-Phys.

Manfred Starlinger leitete mehrere Jahre das Geschäftsfeldmanagement für den Bereich Gebäudedesign eines führenden und international tätigen Unternehmens. Strukturelle Neuausrichtung und Kow-how-Transfer bildeten die Grundlage für herausragende Projektrealisationen auf sämtlichen Kontinenten im Bereich fassadenintegrierte Solartechnik, Tageslicht und sommerlichen Wärmeschutz. Seit 2008 ist er als Gastdozent an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe tätig. Im Masterstudiengang IFDC – International Facade Design and Construction, vermittelt er Studenten Kenntnisse im Bereich der Bauphysik. Im Dezember 2012 gründete er das Planungsbüro ims Ingenieurleistungen Manfred Starlinger.

Kontakt unter:
www.ims-plan.com

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