Gebäudeautomation – Steuerung von Sonnenschutzsystemen

Effizient, flexibel, smart

Text: Jens Rademacher | Foto (Header): © BMS GmbH

Weltweiter Klimawandel, immer extremere Wetterlagen und begrenzte Verfügbarkeit von Energie und Rohstoffen – das sind die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Rund 40 % der Energie werden für Heizung, Lüftung, Klimatisierung und Beleuchtung von Wohn- und Zweckgebäuden verbraucht. Ein automatisch gesteuerter Sonnenschutz unterstützt alle Gewerke und erhöht dabei den Wohlfühlfaktor für die Gebäudenutzer.

Auszug aus:

EnEV Baupraxis
Fachmagazin für energieeffiziente Neu- und Bestandsbauten
Ausgabe März / April 2020
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Zur Vermeidung komplexer Schnittstellen hat es sich bewährt, alle automatisierten Gewerke (Heizung, Lüftung, Klimatisierung, Beleuchtung, Sonnenschutz) auf ein einheitliches Bussystem, wie z. B. KNX, aufzusetzen. So können nach dem Baukastenprinzip für jedes Gewerk die Geräte eines spezialisierten Herstellers ausgewählt und in das Gesamtsystem integriert werden. Sämtliche Informationen stehen zeitgleich für alle Gewerke zur Verfügung. Ist z. B. die Balkontür geöffnet, wird die Klimatisierung automatisch ausgeschaltet, um keine Energie zu verschwenden. Damit die Jalousie nicht mit der Tür kollidiert oder Personen ausgesperrt werden, wird sie in der oberen Endposition verriegelt.

 

Der Baustein Sonnenschutzsteuerung

Die Sonnenschutzsteuerung (Bild 1) besteht im Prinzip nur aus drei Komponenten: der Sensorik zur Erfassung der Wetterdaten, der Sonnenschutzzentrale zur Messdatenauswertung und den Motorsteuergeräten, über die die Antriebe der Sonnenschutzbehänge angesteuert werden. Häufig werden die Wettersensoren und die Funktion der Zentrale auch in einem Gerät kombiniert, was Zeit und Kosten bei der Installation spart und Fehlanschlüsse ausschließt. Netzwerkfähige Sonnenschutzzentralen können als Server in das Intranet oder Internet eingebunden werden und bieten unter Berücksichtigung aktueller IT-Sicherheitsstandards die Möglichkeit der Fernbedienung und Fernwartung, ohne dass ein Servicetechniker vor Ort sein muss. Neben dem Glasfaser- und Kupfernetz wird zukünftig mehr und mehr das Mobilfunknetz für diesen Zweck genutzt werden. Für die Sonnenschutzsteuerung können die erforderlichen M2M (machine to machine) Kommunikationsmodule direkt in die Wettersensorik integriert werden, da diese immer an zentraler Stelle im Außenbereich montiert wird.

Wettersensoren

Zur Steuerung von Sonnenschutzsystemen werden folgende Wetterdaten erfasst und ausgewertet:

  • Helligkeit/ Dämmerung
  • Globalstrahlung
  • Temperatur
  • Niederschlagsmenge
  • Windgeschwindigkeit
  • Windrichtung
  • Luftfeuchte
  • Luftdruck

Für eine gute Automation muss das Sonnenlicht im Radius von 360° und bei jeder Sonnenhöhe zwischen 0° und 90° zuverlässig erfasst werden. Da ein einzelner Helligkeitssensor nicht den gesamten Bereich abdeckt, werden mehrere Sensoren eingesetzt und in Abhängigkeit von Azimut und Elevation der Sonne miteinander verrechnet. Über Fuzzy-Algorithmen werden die Helligkeitsschwellen dynamisch angepasst. So reagieren die Jalousien bei flach stehender Sonne früher und es tritt selbst in den Morgen- und Abendstunden keine Blendung an Bildschirmarbeitsplätzen auf.

Das Spektrum der Sonne umfasst neben dem sichtbaren Licht auch Wärmestrahlung, durch die sich Gebäude im Inneren aufheizen. Besonders durch den stetig wachsenden Glasanteil in den Fassaden fungiert der Sonnenschutz vorrangig als Hitzeschutz und zur Unterstützung der Gebäudeklimatisierung. Dazu ist die Steuerung in Abhängigkeit der gemessenen Globalstrahlung prädestiniert. Zur Umschaltung zwischen Sommer- und Winterbetrieb kommt oft die Außentemperatur zur Anwendung. In Kombination mit der Innentemperatur kann die Umschaltung zwischen Energieernte und Hitzeschutz erfolgen. Zusammen mit der Niederschlagerfassung, Luftdruck und Luftfeuchte wird die Außentemperatur auch zum Schutz vor Frostschäden, z. B. an Markisen, ausgewertet. Messfehler, die bei massebehafteten Widerstandsthermometern und direkter Sonnenstrahlung unvermeidbar sind, sind bei der Temperaturmessung über Ultraschall ausgeschlossen. Es erfolgt eine echte Messung der Lufttemperatur. Für die Windmessung sind Ultraschallsysteme ebenfalls der aktuelle Stand der Technik. Sie erfassen neben der Windgeschwindigkeit gleichzeitig die Windrichtung und können daher für die Umsetzung einer dynamischen Windüberwachung genutzt werden. Im Vergleich zu Flügelradanemometern verfügen sie nicht über bewegte Bauteile und sind somit mechanisch deutlich unanfälliger.

 

Sonnenschutzzentrale

Die Sonnenschutzzentrale ist das eigentliche Herzstück der Steuerung. Sie empfängt die Messwerte und sendet in Abhängigkeit der eingestellten Grenzwerte Fahrbefehle an die Jalousieaktoren. Die Ansteuerung erfolgt hierbei in Sektoren – das sind Gruppen von Sonnenschutzbehängen, die sich aufgrund der Fassadenausrichtung ergeben. Über die Standortkoordinaten sowie Datum und Uhrzeit berechnet die Sonnenschutzzentrale die aktuelle Sonnenposition und verschattet nur die Fassaden, die von der Sonne erfasst werden. In allen anderen Bereichen trägt der aufgefahrene Sonnenschutz zur Energieeinsparung für künstliche Beleuchtung zugunsten von natürlichem Tageslicht bei. Weitere Funktionen der Sonnenschutzzentrale, auf die später noch detailliert eingegangen wird, sind die Schattenkanten- und Lamellennachführung, die Jahresverschattung und diedynamische Windüberwachung.

 

Motorsteuergeräte

Motorsteuergeräte (Bild 2) – häufig auch als Jalousieaktoren bezeichnet – verfügen neben den Motoranschlüssen im Idealfall zusätzlich über potenzialfreie Eingänge. So können konventionelle Jalousietaster für die Bedienung des Sonnenschutzes installiert werden. Kommen Bustaster zum Einsatz, können alternativ Putzschalter, Fenster- oder Brandmeldekontakte angeschlossen werden.

Abhängig vom eingesetzten Antriebstyp unterscheiden sich die Motorsteuergeräte. Hauptkriterium ist hierbei die Betriebsspannung des Antriebs – 230V AC oder 24V DC. Immer häufiger werden heute intelligente Antriebe nach dem SMI-Standard eingesetzt. Da SMI-Antriebe – im Gegensatz zu konventionellen Jalousieantrieben – parallel geschaltet werden dürfen, vereinfacht sich die Leitungsinstallation. Über entsprechende SMI-Aktoren ist weiterhin jeder Antrieb einzeln ansteuerbar.

Für ein einheitliches Fassadenbild ist die exakte Positionierung aller Sonnenschutzbehänge essenziell. Da die Behanglaufzeiten durch Temperaturschwankungen und Alterung variieren, ist dies nur mit einer permanenten Laufzeitmessung im Jalousieaktor realisierbar. Ein weiterer Vorteil der Strommessung ist die Detektion von Motorfehlern und das nach Arbeitsstättenrichtlinie geforderte automatische Aufwippen der Jalousielamellen in der unteren Endlage.

 

Die Funktionen der Sonnenschutzsteuerung

Die Sonnenschutzsteuerung muss alle geforderten Funktionen gleichzeitig koordinieren. Dazu erfolgt eine Staffelung nach Prioritäten. Sicherheitsbefehle schützen Personen und Anlagen und sperren alle nachrangigen Funktionen. Komfortfunktionen sorgen für das ideale Raumklima und für optimale Lichtverhältnisse. Da Helligkeit und Temperatur aber von jedem Menschen anders wahrgenommen werden, kann der Sonnenschutz über die Bedienfunktionen bei Bedarf auch individuell positioniert werden und die Komfortfunktionen werden temporär unterdrückt.

 

Komfortfunktionen

Der Sonnenschutz kann unterschiedliche Funktionen für die Energieeffizienz eines Gebäudes und den Komfort der Nutzer übernehmen:

  • Blendschutz
  • Tageslichtnutzung
  • Bezug nach außen
  • Sichtschutz
  • Hitzeschutz
  • Energieernte

Entscheidend ist dabei stets die Position der Sonne – denn nur die Jalousien auf besonnten Fassadenseiten werden aktiviert und die Lamellen werden dem Sonnenstand nachgeführt.

 

Sonnenstandnachführung

Durch die Frontaleinstrahlungsberechnung in der Zentrale sind für die Sonnenstandnachführung lediglich vier Lamellenpositionen erforderlich. So wird sichergestellt, dass bei maximalem Tageslichtanteil keine Blendung auftritt und weder die Raumnutzer noch die Lebensdauer der Antriebe durch eine Vielzahl von Fahrbewegungen beeinträchtigt werden.

 

Jahresverschattung

Die DIN EN 15232 gibt für Gebäude der Effizienzklasse A die Berücksichtigung von Schattenwurf durch umliegende Bebauung vor. So erhöht sich der Tageslichtanteil gegenüber der Lamellennachführung nochmals. Da sich die Sonnenposition und damit auch der Schattenwurf (siehe Bild 3) stetig ändern, erfolgt in der Sonnenschutzzentrale eine durchgehende Berechnung auf Basis von 3D-Daten. Die Zentrale aktiviert jeweils nur die Behänge, die sich in der direkten Sonne befinden – alle anderen Behänge bleiben aufgefahren.

 

Bedienfunktionen

Klassischerweise wird der Sonnenschutz über einen Taster im Raum, der an das Motorsteuergerät angeschlossen ist, bedient und die Automatik mit Ausnahme der Sicherheitsfunktionen wird vorübergehend deaktiviert. Durch den Einsatz eines zentralen Bussystems wird der Sonnenschutz smart und lässt sich nicht nur über Raumbediengeräte, sondern auch über das Smartphone oder Tablet (siehe Bild 2) bedienen. Netzwerkfähige Sonnenschutzzentralen bieten dem Facility-Management als WEB-Server die Möglichkeit der Bedienung über das Intra- oder Internet.

 

Sicherheitsfunktionen

Sicherheitsfunktionen dienen vor allem dem Schutz der Sonnenschutzbehänge vor Witterungseinflüssen, wie Wind, Niederschlag oder Frost. Aber auch im Brandfall sorgen Sicherheitsfunktionen dafür, dass der Sonnenschutz vor Fluchtwegen oder Entrauchungsöffnungen kein Hindernis darstellt. Spezielle Sicherheitsfunktionen sind die dynamische Windüberwachung und der Einklemmschutz.

 

Dynamische Windüberwachung

Ein Sensor kann nur dort messen, wo er montiert ist – das klingt logisch. Für die Windüberwachung von Sonnenschutzanlagen bedeutet das allerdings, dass eine Vielzahl von Sensoren, verteilt über die gesamte Fassade, erforderlich wird. Denn wie Bild 4 zeigt, sind die Windverhältnisse an einem Gebäude komplex und durch die Bildung von Wirbeln und Windschatten längst nicht überall gleich. Die Alternative zu zahlreichen Einzelsensoren ist die Dynamische Windüberwachung. Dazu wird die gesamte Fassade, basierend auf einer Windsimulation, in Gefährdungsbereiche unterteilt. Für jeden Bereich ergibt sich eine Übertragungsfunktion, die die zentral erfasste Windgeschwindigkeit und Windrichtung auswertet. Dank moderner Softwarelösungen liegen die Kosten für die Simulation heute deutlich unterhalb derer für die Montage und Wartung von Einzelsensoren.

 

Einklemmschutz

Wird der Sonnenschutz elektrisch betrieben, so unterliegt er zwangsläufig der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Das bedeutet, dass Personen- und Sachschäden unter allen Umständen auszuschießen sind. Besonders bei Anlagen aus Großlamellen oder Schiebeläden besteht, bedingt durch die Bauform und die wirkenden Antriebskräfte, die Gefahr des Einklemmens. Eine einfache Lösung bieten in diesem Fall Jalousieaktoren, die unzulässig hohe Antriebskräfte detektieren und die Fahrt automatisch unterbrechen. Optional kann im Anschluss noch eine Entlastungsfahrt erfolgen.

 

Fazit

Die Kombination von funktionsspezifischen Komponenten in einem offenen Gesamtsystem bietet größtmögliche Flexibilität und gewährleistet so absolute Planungssicherheit – für das Optimum an Energieeffizienz und Nutzerkomfort.

Der Autor

Jens Rademacher, Dipl.-Ing. (FH)
Leiter Vertrieb und Marketing bei der BMS-GmbH in Kempen am Niederrhein.

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