Im Gespräch

Energieautarkie soll Freude und Sinn machen

Text: Dr. Tina Weinberger | Foto (Header): © Timo Leukefeld GmbH

Eine energieautarke Energieversorgung ist nichts Neues. Im Zuge des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) sowie des Pariser Klimaabkommens, das weltweit einen klimaneutralen Gebäudebestand bis 2045 vorsieht, und stetig steigender Energiepreise, hat sie jedoch wieder an Bedeutung gewonnen. Vor diesem Hintergrund erklären Timo Leukefeld, Honorarprofessor an der Staatlichen Studienakademie Glauchau und Energiebotschafter der Bundesregierung, sowie Dr. Martin J. F. Steiner, Experte für Energieautarkie in Österreich, wie sich Energieautarkie definieren und umsetzen lässt, was Energieautarkie für das heutige Energiesystem bedeutet und welche Anreize es hierfür gibt.

Auszug aus:

GEG Baupraxis
Fachmagazin für energieeffiziente und ressourcenschonende Neu- und Bestandsbauten
Ausgabe September / Oktober 2021
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Wie lässt sich der Begriff Energieautarkie definieren?

Timo Leukefeld: Es gibt keine allgemeingültige Definition für den Begriff Energieautarkie. Zum Glück, denn das lässt Spielraum und bietet Raum zum Mitmachen für Viele. Wird Energieautarkie bilanziell betrachtet, fallen darunter z. B. Plusenergie- und Passivhäuser. Ich selbst würde Energieautarkie als hochintelligente Eigenversorgung in den Bereichen Strom, Wärme und Mobilität definieren. Energieautarkie ist zu 100 Prozent umsetzbar. Das macht aber wenig Sinn, weil die letzten 30-40 Prozent der Energieautarkie so viel kosten wie die ersten 60-70. Das ist nicht erstrebenswert. Viel besser sind hingegen vernetzte Energieautarkie- Gebäude, die etwa 75 Prozent des Jahres autark sind und im Winter etwas Energie zukaufen. Eine gute Definition bietet auch das Sonnenhausinstitut). Demnach gilt ein Haus als autark, wenn die Sonne den Energiebedarf für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom zu mehr als 50 Prozent deckt, sprich, die solare Deckungsrate, die auch gerne als Autarkiegrad bezeichnet wird, mindestens 50 Prozent beträgt. Diese Definition ist in der Praxis gut anwendbar, schafft eine gewisse Eintrittshürde, ist aber dennoch ein Anreiz und lässt vielen Menschen die Chance, mitzumachen.

Dr. Martin J. F. Steiner: Aus meiner Sicht ist der Begriff Energieautarkie aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und beinhaltet die Themen CO2-Neutralität, Unabhängigkeit, Wirtschaftlichkeit, Produktion, Leitung, Speicherung, Nutzer und Verbraucher sowie Gesetze, Ort und das Verhältnis Kosten zu Nutzen. Geht es um eine Definition, sind grundsätzlich zwei
Formen der Energieautarkie zu unterscheiden: die bilanzielle Energieautarkie im Netzverbund und die Energieautarkie im Inselbetrieb. Bilanzielle Energieautarkie bedeutet, dass über einen bestimmten Betrachtungszeitraum (z. B. ein Jahr) in Summe mehr Energie ins Netz eingespeist, als aus diesem bezogen wird. So kann z. B. im Sommer überschüssige Energie aus einer Photovoltaikanlage ins Netz eingespeist werden, im Winter wird – zusätzlich zur Eigenproduktion – Energie aus dem Netz bezogen. Menschen werden mit ihren Energieanlagen von reinen Verbrauchern zu „Prosumern“, also zu einer Kombination aus Produzent und Konsument. Energieautarkie im Inselbetrieb bedeutet hingegen, dass keine Verbindung zum Netz besteht und damit zu jedem Zeitpunkt genau die Leistung bereitgestellt werden muss, die konsumiert wird. In unseren Breitengraden ist diese meist schwierig, auch mit einer geeigneten Speichertechnologie. Speicher sollen Energie aufnehmen können, wenn mehr produziert als konsumiert wird, und Energie abgeben, wenn der Konsum höher als die aktuelle Bereitstellung ist.

Was bedeutet Energieautarkie für das heutige Energiesystem?

Leukefeld: Gibt es künftig mehr energieautarke Häuser, braucht das Energiesystem mehr Widerstandsfähigkeit, sprich Resilienz. Ziel der aktuellen Digitalisierung des Energiesystems mithilfe von EU-Gesetzen ist eine Effizienzverbesserung des Netzes. Eine steigende Effizienz bedeutet aber unweigerlich auch eine sinkende Resilienz mit der Konsequenz häufigerer Stromausfälle in der Zukunft. Um dem entgegenzuwirken, braucht es regional eine stärkere Vernetzung – sprich Stadt, EVU (Energieversorgungsunternehmen), Haus, Quartier. Die Lösung ist eine – so nenne ich auch meine Vorlesung – vernetzte Energieautarkie. Für Einzelne führt diese zu mehr Unabhängigkeit, Freiheit und Lebensqualität. Da Sonnenstrom mittelfristig zu Grenzkosten nahe Null für 2-3 Cent/kWh erzeugt werden kann, stehen wir vor einem epochalen Wandel, der beispiellos in der Menschheitsgeschichte ist: Eine Ökonomie des Überflusses löst die auf Knappheit gegründete ab, denn statt im Winter bei DIN-Temperaturen zu frieren, ist 23 °C Raumtemperatur ebenso wenig eine Schande, wie im Winter in vielen Räumen das Licht einzuschalten gegen den Blues. Wir sollten Energie intelligent verschwenden, statt sie blöd zu sparen. Statt wie bisher immer zu predigen, dass alles zur Neige geht, wir uns schlecht fühlen und Schuldgefühle haben müssen – was Innovationen den Boden entzieht –, setze ich eher auf eine Sogwirkung und Anreiz statt Druck.

Steiner: Eine bilanzielle Energieautarkie ist aus meiner Sicht grundsätzlich gut machbar. Ebenso eine vermehrte Nutzung verschiedener erneuerbarer Primärenergieträger sowie Effizienzsteigerungen und das Einsparen von nicht benötigter Energie. Eine wichtige Rolle spielen die Versorgungs- und Netzausfallsicherheit. Gegenwärtige Netztopologien berücksichtigen noch zu wenig den Wandel von der Consumer- in die Prosumer-Gesellschaft, die eine vernetzte Energieautarkie darstellt. Eine vernetzte Energieautarkie muss künftig Prosumern monetäre (oder sonstige) Anreize zur Netzeinspeisung derer Überschüsse bieten. Die Alternative dazu ist eine Speicherung von Überschüssen und/oder die Nutzung von Direktleitungen). Diese sind die Ausnahme zum EU-Netzmonopol und werden an Bedeutung gewinnen, wenn Prosumern künftig keine Anreize zur Einspeisung geboten werden. Prosumer, die im Sommer mehr Strom produzieren als sie verbrauchen und/oder in der eigenen Batterie speichern können, können über Direktleitungen die selbst produzierte überschüssige Energie an Nachbarn liefern. Voraussetzung ist, dass über die Direktleitung keine Energie des Netzes geleitet wird.

 

Was ist in puncto Energieautarkie technisch machbar, was ist sinnvoll?

Leukefeld: Technisch machbar ist alles – sinnvoll ist es aber nicht. So würden beispielsweise 100 Prozent Autarkie eine Auslegung der Technik auf 200 Prozent bedeuten, weil ja in zehn Jahren mal ein sibirischer Winter kommen könnte. Zudem sind 100 Prozent bei Strom, Wärme und Mobilität ohne Wasserstoff nicht wirklich sicher machbar. Dieser ist jedoch enorm teuer und wird im Neubau keine Rolle spielen. Eine viel sinnvollere Lösung wäre eine Eigenversorgung von mindestens 50 Prozent. Die restliche Energie könnte aus Strom-Clouds, von Stadtwerken, Nachbarn oder aus Quartieren bezogen werden. Kooperation ist in meinen Augen eine bessere Lösung als reine Technik. Auch deshalb, weil es bereits jetzt – und tendenziell wird ab- statt aufgerüstet – kaum mehr Handwerker gibt, die für Reparaturen, Wartungen oder einfach nur den Einbau von Systemen da sind. Auch mit Blick auf den Klimawandel sollte weniger die technische Machbarkeit als die Sinnhaftigkeit entscheidend sein. Statt Leichtbau und viel Styropor sollte wieder gebaut werden wie bei den Urgroßeltern – dicke Wände, hohe Speichermassen. Das ist vorteilhaft für die Kühlung, die künftig immer wichtiger wird. Heizen wird hingegen an Bedeutung verlieren, weil die Gebäude immer besser gedämmt und die Winter wärmer werden. In dem Punkt braucht es sinnvolle Anpassungsstrategien – auch für Förderprogramme, die momentan zu vielen Fehlinvestitionen führen.

Steiner: Technisch machbar ist sehr viel und es gibt prinzipiell immer einen oder mehrere Wege. Die übergeordnete Frage ist jedoch: Was will ich und was ist mein Ziel? Bilanzielle Energieautarkie oder Energieautarkie im Inselbetrieb? Strom, Wärme oder/und Mobilität? Will ich mich unabhängiger von unberechenbaren Anhebungen des Netzstrompreises und Gebühren machen? Wir schwimmen in einem Meer von Energie und erhalten von der Sonne im Jahr etwa 10.000-mal mehr als weltweit konsumiert wird. Das „Problem“ der Sonnenenergie ist jedoch deren geringe Energiedichte. Diese ist auch eine Ursache, warum immer noch Erdöl aus Krisengebieten, in denen Krieg, Diktatur und Unfreiheit herrscht, über tausende von Kilometern zu großen Summen und, verbunden mit Umweltschäden, zu uns transportiert wird. Sinnvoll – auch aus ethischer und aus Sicht jeder Handelsbilanz – ist der Weg in die bilanzielle Energieautarkie für Ein- und Mehrfamilienhäuser, Gemeinden, Regionen und Unternehmen. Empfehlenswert ist, mit einfacher und robuster Technik zu beginnen. Wenn möglich, gilt es, unterschiedliche regional verfügbare erneuerbare Primärenergieträger zu kombinieren. So wäre ein Stadtszenario z. B.: PV für Strom plus oberflächennahe Geothermie zur Raumkühlung mit eventueller Wärmepumpe/Kältemaschine und/oder Biomasse-Nahwärme für die Wärmeversorgung. Auf dem Land könnte ebenfalls PV für Strom und Mobilität genutzt werden, die Wärmeversorgung könnte über Stückholz oder Hackschnitzel und eine Nahwärmeversorgung erfolgen.

 

Welche baulichen Voraussetzungen sollten bei einem Haus vorliegen, um es energieautark zu machen?

Leukefeld: Eine erste grundlegende Voraussetzung wäre, dass Bauämter lernen, wo Süden ist. Spaß beiseite: Grundsätzlich eignen sich Grundstücke mit Südausrichtung, wobei 20-30 Grad Ausdrehung noch möglich sind. Es sollten möglichst viele Flächen, wie Dach, Carport etc., als Ernteflächen für PV nutzbar sein – und Pultdächer mit 10-15 Grad Neigung sind gut. Um die Solararchitektur gut einzubinden, eignen sich nicht zu große Südfenster, um eine zu starke Überhitzung zu vermeiden. Eine massive, schwere Bauweise empfiehlt sich, bei der monolithisch gebaut wird und auch die Innenwände aus massiven Materialien, wie Stein oder Holz, sind. Bei der Heizung werden Wassersysteme im Neubau nach und nach verschwinden. Stattdessen werden solarbetriebene Infrarotstrahler – bei diesen ist ein hoher Strahlungswirkungsgrad wichtig – zunehmen, sodass nur noch Kabel und Kaltwasserleitungen im Haus verlegt sein werden. Das vereinfacht den Rohbau enorm und gibt Bauherren ein nahezu wartungsfreies System an die Hand.

Steiner: Grundsätzlich ist eine gute Wärmedämmung sinnvoll, also eine Niedrig- oder Nullenergiebauweise. Ausgewählte, energiesparende Verbraucher sind empfehlenswert. Abgesehen von der Lage (Südausrichtung) gilt es, entsprechende Dachflächen für PV sowie ein passendes PV-Gesamtkonzept vorzusehen, bestehend aus Speicher, Blackout-Security, Blackouttauglichen Wechselrichtern und einer oder mehrerer Möglichkeiten der Direktleitung. Ich empfehle sehr, wo immer möglich, mehrere verschiedene Primärenergiequellen zu nutzen. Abhängig von der Bauweise wird künftig immer weniger das Heizen und die Warmwasserbereitung im Fokus liegen. Vielmehr wird es um die Frage gehen, wie es gelingt, dem Haus regenerative Energie zum Kühlen zur Verfügung zu stellen, vor allem, wenn es in Leichtbauweise errichtet ist.

 

Wie sieht es mit Kosten, Nachhaltigkeit etc. aus?

Leukefeld: Betrachtet man den Bestand im Einfamilienhaus, würde die Demontage der Fußbodenheizung inkl. Wärmepumpe und Verteiler unendlich viel Müll und Metall bedeuten. Im Vergleich dazu sind der Ressourcenverbrauch und die Nachhaltigkeit für Infrarotstrahler und eine dezentrale Warmwassererwärmung wesentlich besser. Was die Kosten betrifft, liegt eine moderne Heizung, bestehend aus Fußbodenheizung, Wärmepumpe, Speicher/Boiler, aktuell bei etwa 35.000 Euro – montiert und inkl. Mehrwertsteuer, Tendenz stark steigend. Das System ist wartungsintensiv und verursacht Energiekosten für Heizung und Warmwasser von rund 700-800 Euro/ Jahr. Wird stattdessen auf Infrarotpaneele und eine dezentrale Warmwassererwärmung gesetzt, liegt die vergleichbare Investition bei rund 10.000 Euro. Die jährlichen Kosten für Heizung und Warmwasser liegen bei dem wartungsarmen System bei etwa 1.200 Euro/Jahr. Rund 400 Euro/ Jahr mehr als bei einer Wärmepumpenlösung. Jedoch 25.000 Euro weniger Investition, was Mehrkosten von 400 Euro für gut 60 Jahre abdeckt. Werden von den 25.000 Euro Ersparnis für 15.000 Euro PV-Anlagen und Batterien, wie z. B. Salzwasserbatterien, gekauft, lässt sich von den 1.200 Euro jährlichen Kosten rund die Hälfte einsparen. Zusätzlich spart der Hausbesitzer noch etwa 70 Prozent beim Haushaltsstrom und beim E-Auto-betanken. Die Gesamtersparnis bei der Investition liegt dann immer noch bei rund 10.000 Euro. Und das, obwohl Strom die teuerste Heizform ist. Wird der Strom jedoch selbst per PV erzeugt, ist es die beste Lösung.

Steiner: Das ist ganzheitlich zu sehen. Rentabilität, Nachhaltigkeit, Freiheit, CO2- Neutralität, Zukunftssicherheit, Blackout- Security, vorausschauendes Handeln und Investitionen in reale Werte sind die Kernthemen der Energieautarkie. In Zeiten wie diesen ist es meiner Ansicht nach besonders wichtig, sich unabhängiger von Energiepreisschwankungen, willkürlichen politischen Preis- und Gebührenentscheidungen sowie der Steuergesetzgebung zu machen. Für Unternehmen – vor allem in energieintensiven Bereichen – gilt es auch, die Ausfall- und Planungssicherheit zu verbessern. Wer will nicht schon heute wissen, wie viel der Strom oder die erforderliche Energie in drei Jahren kosten wird und wie sich das auf die eigene wirtschaftliche Situation auswirkt? Energieautarkie, also die lokal vorhandenen, regional erneuerbaren Energiequellen und Ressourcen verwenden, bedeutet auch, sich selbst und/oder die eigene Region und Kommune wirtschaftlich unabhängiger und freier zu machen. Kaufkraftabflüsse können reduziert und Wohlstand lokal vermehrt werden. Wo sonst gibt es heutzutage noch eine gesicherte Rendite von 3-6 Prozent und mehr, deren Nebeneffekt ein positiver Einfluss auf die regionale Ökonomie und Ökologie ist?

 

Ist Energieautarkie im Wohnbereich (EFH, MFH) realisierbar?

Leukefeld: Definitiv. Es gibt viele Beispiele, bei denen besonders im Bereich Einfamilienhaus die Aspekte Unabhängigkeit, Lebensqualität, Sicherheit und Altersvorsorge – es gibt eine gute Rendite für PVStrom – eine wichtige Rolle spielen. Im Mehrfamilienhaus sind energieautarke Gebäude die einzige Art des Neubaus, bei dem die Mietrendite hoch genug ist, um das Investment zu refinanzieren und dem Trend des gestrandeten Anlagevermögens entgegenzuwirken. Von der CO2-Steuer bleibt künftig mindestens die Hälfte beim Vermieter und die Häuser weisen enorme Wartungskosten auf, weil sie voller Technik sind. Diese wird verrückterweise gefördert, ist aber voller Sollbruchstellen und weist nur kurze Lebenszeiten auf. Die Kaufkraft der Mieter sinkt, sodass diese nur so geringe Kaltmieten zahlen können, dass die Einnahmen der Vermieter nicht zur Refinanzierung reichen. Das wird politisch unterstützt durch Mietendeckel. Um dem zu entkommen, ist Energieautarkie im Mehrfamilienhaus der einzige Weg. Denn: CO2 frei ist gleich CO2-steuerfrei, die Häuser sind zu über 50 Prozent autark, radikal enttechnisiert und verursachen keine Wartungs- und Reparaturkosten im Haustechnikbereich. Renditemindernde und bürokratische Vorgänge, wie Betriebskostenabrechnung oder Mieterstrommodell, werden vermieden. Mieten können – z. B. als Pauschalmiete plus Energieflat – für zehn Jahre und mehr festgeschrieben werden. Das bedeutet für Mieter geringe und planbare Fixkosten, Vermieter verdienen pro Quadratmeter 2-3 Euro mehr, sodass eine Refinanzierung möglich wird.

Steiner: Eine bilanzielle Energieautarkie im Ein- und Mehrfamilienhaus ist gut machbar und meist auch sinnvoll. Das zeigen viele Vorbilder aus der Praxis, wie aktuell z. B. das Leitprojekt „Fit für 2050“ in Obergrafendorf/Österreich). Dabei wurden neue ganzheitliche Konzepte für Ortszentren entwickelt. Auch Mieter oder Wohnungsbesitzer können sich engagieren und einbringen, etwa mit Investitionen oder Beteiligungen bei den aufkommenden Mieterstrom- oder Bürgerbeteiligungsmodellen. Für Kommunen und Regionen ist es wichtig zu verstehen, dass in unseren Breitengraden mit bis zu zwölf Stunden Sonnenschein im Sommer – im Winter maximal die Hälfte davon – nur mit PV-Strom Energieautarkie ganzjährig nicht umsetzbar ist. Hier gilt es, auf vernetzte und bilanzielle Energieautarkie zu setzen und, wenn möglich, regionale Optionen für erneuerbare Energiebereitstellung auch für die Wintermonate zu finden.

 

Welche Anreize gibt es für Energieautarkie?

Leukefeld: Uns persönlich sind staatliche Fördermittel als Anreiz egal und wir halten nicht viel davon. KfW 55 ist noch okay, das kann jeder mitnehmen, mehr braucht es aber nicht. Förderungen verzerren den Markt und machen das Bauen unnötig kompliziert, weil sie vieles vorgeben, was keinen Sinn macht. Ich setze stattdessen auf marktwirtschaftliche Verfahren, bei denen sich der Markt frei entwickeln kann. Anreiz ist ein marktwirtschaftliches System, das bei einer guten Umsetzung noch grüner ist, als es Frau Baerbock momentan im Kopf hat.

Steiner: Für viele ist es das Bedürfnis nach (mehr) Freiheit und Freiraum. Ein weiterer wichtiger Anreiz ist sicher der sich ständig erhöhende Energiepreis – sowohl im Wohnbereich als auch für Gewerbebetriebe. Bei uns in Österreich setzt sich dieser (noch) zu je einem Drittel aus Steuern und Abgaben, Netzentgelt sowie Energiekosten zusammen. In Deutschland kostet die kWh bereits rund die Hälfte  mehr als in Österreich und rund 75 Prozent) davon sind keine echten Energiekosten, sondern Steuern, Gebühren und Netznutzungsentgelt. Entsprechend schlecht wird daher auch die Einspeisung von überschüssigem Strom ins Netz vergütet. So entsteht immer mehr der Anreiz, selbst produzierten Strom nicht ins Netz zu liefern, sondern möglichst viel davon selbst zu verbrauchen, selbst zu speichern oder über eine Direktleitung dem Nachbarn zur Verfügung zu stellen. Maximale Eigennutzung und möglichst wenig Strombezug aus dem Netz bedeutet eine gute Wirtschaftlichkeit und ist zugleich Anreiz für Energieautarkie. Zudem unterliegt der selbst produzierte Strom keinen preislichen Schwankungen, es besteht daher Planungssicherheit, was besonders für Unternehmen wichtig ist.

 

Welche Zukunft erwarten Sie für das Thema Energieautarkie?

Leukefeld: Die Politik wird etwas Einfluss auf die Entwicklung energieautarker Häuser haben, denn Energieautarkie bedeutet Freiheit sowie selbstbestimmtes Leben, und die Politik will keine unabhängigen Bürger. Der Einfluss der Politik wird aber gering sein, denn Sonnenstrom ist, bleibt und wird auch künftig die günstigste Energieform sein. Daher denke ich, dass die Energiewende auf den Dächern der Bürger stattfinden wird. Das Ergebnis ist eine vernetzte Energieautarkie, die aus meiner Sicht auch die einzige Art ist, Gebäude wirtschaftlich zu betreiben.

Steiner: Aus meiner Sicht wird das Thema Energieautarkie in der EU, besonders aber in Deutschland sehr wichtig werden. Einerseits gilt es, einer marktfernen Strompreisgestaltung zu entkommen, andererseits die Versorgungssicherheit selbst herzustellen. In Deutschland liegt für Endkunden schon einer der höchsten Strompreise vor. Politisch ist in Deutschland zudem beabsichtigt, bestehende Atomkraftwerke ab Ende 2022 vom Netz zu nehmen. Womit soll die Lücke an Grundlastkraftwerken dann gefüllt, womit die stark steigende E-Mobilität versorgt werden? Es bräuchte für so ein Vorhaben eine verantwortungsvolle und kompetente Energiepolitik, aber stattdessen werden in Fachkreisen Teilabschaltungen) diskutiert – im Land des Exportweltmeisters. Vernetzte Energieautarkie, Direktleitungen und Prosumer waren bis hier die relevanten Stichworte, aber es geht auch darum, dass Menschen Eigenverantwortung übernehmen und initiativ werden. Für sich privat im Einfamilienhaus, für ihren Betrieb oder gemeinsam für die Kommune oder Region. Es geht darum, regionale und dezentrale Strukturen zu schaffen, eigenverantwortlich in die Zukunft zu investieren und dafür mit Versorgungs- und Planungssicherheit belohnt zu werden. Es muss ein regional passender Mix an lokal vorhandenen erneuerbaren Quellen gefunden werden. Meine Vision ist die Dezentralisierung der Strom- und Energieversorgung. Viele können künftig selbst einen Großteil ihres Stroms produzieren, mit Nachbarn teilen und/oder in eigenen Speichern bevorraten, sodass in Zukunft nur noch Ausgleichsenergie aus dem Netz bezogen werden muss. Das wird in manchen Regionen einfacher, in anderen schwerer umsetzbar sein. Statt eines fixen Strompreises wird künftig zudem sicher ein Tarif 2.0 eingeführt werden, der Zeitpräferenzen beinhaltet. Sprich: Er wird zu Niedriglastzeiten weniger und zu Hochlastzeiten viel kosten. Das wird ein Problem für viele Konsumenten werden, für Prosumer wird dieser Umstand Möglichkeiten schaffen. Eine weitere Möglichkeit, die wir in Österreich schon andiskutiert haben (und natürlich damit auf Widerstand gestoßen sind), wäre die Freigabe der 7. Netzebene für Prosumer, sprich: der 400-V-Netzebene. Prosumer könnten dann unabhängig von Steuern, Gebühren und Netzentgelten – oder zumindest bei stark verringerten Netznutzungsentgelten – überschüssigen Strom in diese Netzebene einspeisen, verteilen und so eine vernetzte Energieautarkie realisieren. Das würde zu mehr Versorgungssicherheit und Dezentralität beitragen und zugleich jeden einzelnen Prosumer freier und unabhängiger von Monopolen und politischer Einflussnahme machen.

Die Autorin

Dr. Tina Weinberger
Dr.-Ing. (Maschinenbau/Energietechnik),
Fachjournalistin
Kontakt: www.tina-weinberger.de

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