Modell zur Potenzial-Analyse und -Realisierung

Energieeffizienzverbesserungen für Fabrikgebäude

Text: Matthias Hofmeister | Foto (Header): © iuriimotov – stock.adobe.com

Ein innerhalb der Schott AG entwickeltes allgemeingültiges Modell zur Analyse und Realisierung von Potenzialen zur Effizienzverbesserung soll helfen, künftige Neubauten, Sanierungen und Anlagenoptimierungen von Fabrikgebäuden in puncto Energieeffizienz im Bereich TGA zu analysieren und Verbesserungen zu entwickeln.

Auszug aus:

GEG Baupraxis
Fachmagazin für energieeffiziente und ressourcenschonende Neu- und Bestandsbauten
Ausgabe Mai / Juni 2021
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Energieverbrauch und -effizienz spielen insbesondere für energieintensive Unternehmen eine immer größer werdende Rolle, denn aufgrund stark volatiler Energiepreise und gesetzlicher Verpflichtungen steigen die Anforderungen stetig. Diesbezüglich wurde innerhalb der Schott AG in Mainz die Entwicklung eines Modells zur Analyse und Realisierung von Effizienzverbesserungspotenzialen für Fabrikgebäude notwendig. Hierfür wurde, ausgehend vom aktuellen Stand der Technik und mit einer Expertenbefragung im Unternehmen, ein Modell entwickelt, mit dem Lösungsmöglichkeiten am Beispiel eines Standorts der Schott AG ausgearbeitet werden können. Dieses Modell ist allgemeingültig nutzbar und kann auch auf andere (Konzern)Standorte bzw. andere Fabriken übertragen werden. Auch Fragen zur Bedeutung von Energieeffizienz, den energierelevanten Prozessen im Fabrikgebäude sowie der Planung und Bewertung von Energieverbräuchen werden innerhalb des Modells untersucht und mithilfe der Experten beantwortet. Mit diesem Modell soll es möglich werden, künftige Neubauten, grundlegende Sanierungen und Anlagenoptimierungen von Fabrikgebäuden aus Sicht der Energieeffizienz im Bereich TGA zu analysieren und Verbesserungen zu entwickeln.

IST-Aufnahme

Innerhalb des entwickelten Modells entsteht ein erster Überblick über den gewählten Standort durch eine IST-Aufnahme. In dieser werden Prozess- und Querschnittstechnologien, das Energiemanagement sowie das Messkonzept aufgenommen. Mithilfe von Lastgängen und Messwerten, dem energetischen Verbrauch sowie weiteren Energiedaten kann die IST-Aufnahme detailliert durchgeführt werden. Sie entspricht im Prinzip einer Kurzanalyse, die dazu dienen soll, einen Überblick über das Thema Energie an einem Standort zu erhalten. Hierzu wird der Verbrauch der Energieträger grafisch dargestellt, z. B. in Form von Tabellen oder Diagrammen (s. Abb. 2). Anschließend wird eine Aufschlüsselung der Energien nach Verbrauchern durchgeführt. Eine Trennung in verschiedene Bereiche, wie etwa Produktion, Infrastruktur, Verwaltung etc., ist dabei ebenfalls sinnvoll (s. Abb. 3).

Durch eine Übersicht aller genutzten Querschnittstechnologien am Standort lässt sich ein genaueres Bild des Energiebedarfs und der Energieerzeugung bzw. -umwandlung erstellen. Hier lassen sich eventuell auch Abhängigkeiten oder das Zusammenwirken einzelner Technologien sowie Großverbraucher erkennen. Die Auflistungen der Querschnittstechnologien sollen möglichst viele Details enthalten, wie z. B. Anzahl der Anlagen, Zustandsbeschreibungen sowie eventuelle Besonderheiten, Baujahr, Nennleistung, Typ, Brennstoffverwendung, Regelung, Betriebsstunden, Steuerung, Drücke, etc. Auch die Prozesstechnologien müssen gelistet und übersichtlich dargestellt werden. Folgende Inhalte dienen als Beschreibung des Prozesses: eingesetzte Technologien, die Steuerung und Regelung sowie mögliche Rückgewinnungssysteme. Zur weiteren Beschreibung der Prozesstechnologien gehören ebenfalls Daten und Analysen zum Energieverbrauch. Nach Möglichkeit sollte der Prozess grafisch dargestellt werden, um die Energieflüsse aufzeigen zu können (s. Abb. 4). Als Teil der IST-Aufnahme ist zu prüfen, ob ein Energiemanagementsystem vorliegt, wie es funktioniert und welchen Einfluss es auf die Energieeffizienz am Standort hat. Grundvoraussetzung für die technische Sicht des Energiemanagements sind Energiedaten und Energieverbräuche des Standorts, die z. B. durch Messungen und Berechnungen erhoben werden. Durch eine Übersicht der vorhandenen Messungen am Standort wird das Messsystem des Standorts aufgenommen und dargestellt. Es soll erkennbar werden, welche Energie und in welcher Verbrauchsebene gemessen wird. Die Verbrauchsebenen können der Standort (Einspeisung), ein Gebäude, ein Bereich, eine Gruppe oder eine Maschine/Anlage sein. Um alle Energieverbräuche und Energieflüsse auch in zeitlicher Abhängigkeit in Form von Lastgängen darzustellen, wird ein geeignetes Messkonzept benötigt. Die wichtigsten Ziele eines Messkonzepts sind beispielsweise für Schott das Monitoren des Gesamtenergiebedarfs, die genauen Zuordnungen der Energieverbräuche zu Anlagen, Maschinen und Prozessen, eine Möglichkeit der Energieabrechnung innerhalb eines Unternehmens und die Erstellung von Daten zur Planung, Optimierung und Aufdeckung von Schwachstellen.

 

IST-Analyse

Innerhalb der IST-Analyse werden die Erkenntnisse und Übersichten der IST-Aufnahme energetisch untersucht und ausgewertet. Dadurch wird es möglich, die Verbräuche der Energieträger, z. B. Strom und Gas, detailliert zuzuordnen. Mithilfe der Analyse werden Haupt- oder Großverbraucher identifiziert. Auch die Energieflüsse werden genau den Anlagen, Maschinen oder Prozessen zugeordnet. Mit der Analyse ist es nun auch möglich, alle Energieflüsse innerhalb des Standorts nachzuverfolgen und Schwachstellen bzw. Optimierungsbedarfe zu lokalisieren. Damit kann ein genaues Bild der energierelevanten Prozesse am Standort erstellt und Abhängigkeiten untereinander und zu den Querschnittstechnologien sichtbar gemacht werden.

Mithilfe der Lastgänge sowie Energieverbräuche der Maschinen und Anlagen werden energetische Profile und Zusammenhänge erstellt und die Möglichkeit geschaffen, Lastmanagement zu planen und anzuwenden. Durch die Zuordnung der genauen Energieverbräuche können Energie-Kostenanalysen der einzelnen Anlagen und Maschinen durchgeführt werden. Anhand der Energieverbräuche und weiterer Faktoren ist anschließend eine Analyse der Effizienz von Anlagen, Maschinen und Prozessen und somit von Schwachstellen und Verbesserungspotenzialen detaillierter möglich. Durch die Analyse des Messkonzepts lassen sich Energieflüsse nun im Detail analysieren und Lücken oder Verbesserungspotenziale im Messsystem erkennen. Die Durchgängigkeit der Messungen vom Einspeisepunkt bis hin zum Einzelverbraucher lässt sich innerhalb des Systems nachvollziehen und überprüfen.

 

Bewerten und Lösungen finden

Unter Zuhilfenahme der Analysen der energierelevanten Prozesse, dem Energieverbrauch, dem Messkonzept sowie erkannten Schwachstellen wird der aktuelle Zustand des Standorts beschrieben und bewertet. Diese Bewertung stellt aus energetischer Sicht die eingesetzten Technologien und deren Energieverbräuche, das Messkonzept und das Energiemanagement sowie Verbesserungsmöglichkeiten dar. Weiterhin findet in dieser Bewertung eine Clusterung der Technologien statt, die aufgrund der vorangegangenen Bewertungen und den zusätzlichen Anforderungen beleuchtet und für neue Lösungsmöglichkeiten untersucht werden sollen. Darin inbegriffen sind auch Technologien, die am Standort noch nicht eingesetzt wurden. Mit den erarbeiteten Lösungsmöglichkeiten sollen technische und organisatorische Optionen aufgezeigt werden, um die Effizienz der verschiedenen Technologien zu verbessern. Zudem werden Lösungen vorgestellt, bei denen Technologien zum Einsatz kommen, die bisher nicht im Einsatz waren. Neben den Prozesstechnologien werden hierbei auch die Energieeffizienzverbesserungsmöglichkeiten der Querschnittstechnologien sowie organisatorischer Maßnahmen beleuchtet und beschrieben. Die Bewertung der Effizienzmaßnahmen erfolgt aus unterschiedlichen Gesichtspunkten. Neben betriebswirtschaftlichen Faktoren spielen auch Aspekte der Umsetzbarkeit und Verfügbarkeit der Maßnahmen, des Nutzens, sowie unternehmensstrategische Ziele bezüglich Umwelt- und Klimaschutz eine wichtige Rolle. Erkannte Möglichkeiten von Effizienzverbesserungen im organisatorischen Bereich liegen im Ausbau und der Erweiterung des Energiemanagements nach ISO 50001 und der Erweiterung und Verbesserung des Messkonzepts. Potenzielle technische Maßnahmen zur Effizienzverbesserung sind der verstärkte Einsatz von Gebäudeleittechnik, die Nutzung von Geothermie, Kraft-Wärme- bzw. Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung und Photovoltaik, die Ausnutzung von Redundanzpotenzialen in der Drucklufterzeugung, Kälte- und Wärmeerzeugung, der Ausbau und die Erweiterung von Kälteerzeugung, die Steigerung der Energieeffizienz durch effiziente Antriebs-und Beleuchtungstechnik sowie insbesondere die Nutzung der Abwärme aus den Produktionsprozessen. Eine wichtige Erkenntnis aus der Bewertung der Lösungsmöglichkeiten ist zudem, dass die wirtschaftlichen Argumente wichtig und entscheidend sind, aber nicht allein und losgelöst als Bewertung genutzt werden sollten. Deshalb werden weitere Faktoren, wie die technische Umsetzbarkeit und Verfügbarkeit, der Nutzen für den Standort, das Unternehmensimage sowie Umweltfaktoren, wie die Senkung des CO2-Ausstoßes und der Primärenergieverbrauch, als Bewertung hinzugezogen. Erkennbar ist an dieser Stelle aber auch, dass durch einen energieeffizienten Neubau ein moderner Stand der Technik erreicht wird und zukünftige Steigerungen der Effizienz aus technischer Sicht in einem Neubau wesentlich anspruchsvoller als in einem zu renovierenden Altbau werden. Diese Zusammenhänge erfordern ein tiefergehendes und spezifischeres Auseinandersetzen mit den Themen Energieverbrauch und Energieeffizienz sowie der ständigen Optimierung der Technik und organisatorischer Verbesserungen, wie etwa Nutzungsdauer, Stillstandzeiten und Nutzungsverhalten von Anlagen und Maschinen.

Der Autor

Matthias Hofmeister
Matthias Hofmeister absolvierte seine Ausbildung zum Elektroniker für Automatisierungstechnik (2006-2010) bei der Schott AG in Mainz und bildete sich anschließend berufsbegleitend zum staatl. geprüften Automatisierungstechniker (2010-2014) weiter. Nach einigen Berufsjahren in den Bereichen Elektro- und Automatisierungstechnik startete er berufsbegleitend das Fernstudium Wirtschaftsingenieurwesen Energietechnik (2017-2020) an der Wilhelm Büchner Hochschule Darmstadt. 2019 wechselte Hofmeister innerhalb der Schott AG in den Bereich Energiemanagement und Energiewirtschaft.

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