Neubau der St. Trinitatis-Kirche

Lichte Optik gegen die Schwere der Geschichte

Text: Eva Mittner | Foto (Header): © Schulz und Schulz

Die Stadt Leipzig bekam mit dem Neubau der St. Trinitatis-Kirche ein herausragendes Wahrzeichen zurück. Besondere Präsenz verleihen dem Gebäude der hohe Kirchenbaukörper, der Kirchturm und vor allem die einladende Offenheit des Pfarrhofs. Mit einer Hülle aus gemauertem Rochlitzer Porphyr bekennt sich der Bau zu Region und Tradition. 2016 wurde das Bauwerk mit dem Balthasar-Neumann-Preis ausgezeichnet, dem europäischen Preis für Architektur und Ingenieurleistungen.

Auszug aus:

EnEV Baupraxis
Fachmagazin für energieeffiziente Neu- und Bestandsbauten
Ausgabe Januar / Februar 2018
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Die erste Leipziger Trinitatiskirche entstand im Jahr 1847 in unmittelbarer Nähe zur Leipziger Altstadt. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude während der Bombenangriffe auf die Stadt Leipzig in den Jahren 1943 und 1944 schwer beschädigt. Lediglich die Außenmauern und der Kirchturm blieben erhalten. Mit dem Versprechen eines Neuanfangs für die Gemeinde in einer größeren Kirche wurde die Ruine 1954 gesprengt. Doch die damalige SED-Regierung zog die erteilte Baugenehmigung wieder zurück. Die Stadtverwaltung beräumte das Baufeld und die Gemeinde musste als Interimslösung auf die Klosterkirche St. Pauli am Leipziger Augustusplatz ausweichen. Doch auch diese während des Zweiten Weltkriegs weitgehend unzerstört gebliebene Kirche wurde 1968 als Ausdruck politischer Machtverhältnisse auf Veranlassung der Leipziger Stadtverwaltung gesprengt und durch Neubauten für die Universität ersetzt. Für die Katholische Propsteigemeinde folgte eine jahrzehntelange Odyssee als Gast in verschiedenen Kirchengebäuden der Stadt.

Neuanfang nach vielen Jahren

Erst Ende der 1970er-Jahre wurden die Pläne für eine zweite Trinitatiskirche wieder aufgenommen. Für den Neubau nach Plänen der Bauakademie der DDR wurde der Gemeinde ein neues Grundstück in verkehrsungünstiger Lage außerhalb der Leipziger Innenstadt zugewiesen. Hier entstand bis 1982 ein unscheinbarer Zweckbau, der wegen schlechter Gründungsverhältnisse bereits wenige Jahre später erhebliche Baumängel aufwies. Diese wären nur mit erheblichem finanziellem Aufwand zu sanieren gewesen und dennoch dem Wunsch der Gemeinde, wieder stärker im Zentrum der Stadt präsent zu sein, nicht gerecht geworden. Vor diesem Hintergrund trat die Gemeinde im Jahr 2008 mit der Stadt Leipzig über ein mögliches neues Baugrundstück in Verhandlung.

In prominenter Lage und unmittelbarer Nachbarschaft zum Neuen Rathaus und dem zentralen Wilhelm-Leuschner-Platz – unweit des Standorts der ersten Trinitatiskirche – gelang es Schulz und Schulz Architekten, einen Ort zu definieren, der sich respektvoll in die bestehende Bebauung einfügt und entlang des städtischen Platzes sowie des Innenstadtrings eine deutlich wahrnehmbare Kante ausbildet.

 

Nachhaltiges Gebäudekonzept

Die Wünsche des Bauherren – der Katholischen Propsteipfarrei St. Trinitatis – waren klar formuliert: ein moderner Kirchenbau sollte es werden, der mit einem nachhaltigen Gebäudekonzept einen ganzheitlichen Umgang mit der Umwelt und einen sorgsamen Umgang mit der Schöpfung widerspiegelt.

Zur Lösung der komplexen Aufgabe lobte die Gemeinde einen zweiphasigen, international besetzten Realisierungswettbewerb aus, in dem die Leipziger Architektenbrüder Ansgar und Benedikt Schulz (Schulz und Schulz) für ihren Entwurf mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurden. Ihre städtebauliche und architektonisch präzise Lösung für den Kirchenneubau überzeugte die Jury. Den geforderten beispielhaften Umgang mit der Schöpfung beantworteten die Architekten mit der Infragestellung und Neubewertung gewohnter Standards, der Langlebigkeit sowie des Komforts. Im Ergebnis brachten die Planer traditionelle, regionale, nachwachsende und beständige Materialien miteinander in Einklang und bevorzugten diese gegenüber einzelnen, technischen Hochleistungskomponenten. „Wir haben die Aufgabe für einen großen, innerstädtischen und katholischen Kirchenneubau ganz bewusst unter der Maßgabe der Verknüpfung von Stadt und Architektur mit der besonderen Offenheit von Kirche und zentralem Pfarrhof beantwortet“, berichten die Professoren Ansgar und Benedikt Schulz. „Unser Anliegen war es, ein offenes Haus im Herzen der Leipziger Innenstadt zu schaffen, das zwanglosen Raum für Kommunikation, Einkehr sowie Kontemplation bietet und dabei mit hoher architektonisch-räumlicher Qualität überzeugt.“

Dem Architektenteam gelang es, den Neubau auf eine unkomplizierte Weise in das gesellschaftlich-kulturelle Leben der Leipziger Innenstadt einzubinden. Die Grundstücksfläche mit rund 2.600 m² ist eine Dreiecksform. Der 50 m hohe Kirchturm an der Spitze des Dreiecks findet seine Entsprechung im großen Kirchenschiff auf der gegenüberliegenden östlichen Seite des Grundstücks. Kirchenraum, Werktagskapelle und Sakristei bilden hier eine deutlich wahrnehmbare städtebauliche Kante zum Wilhelm-Leuschner-Platz. Zwischen den beiden markanten Hochpunkten ist der großzügige Pfarrhof eingebunden, der einen neuen zentralen Ort für die Begegnung schafft. Die Silhouetten der Kirche und des gegenüberliegenden Rathauses definieren entlang des ansteigenden Martin-Luther-Rings eine interessante Torsituation. Mit den architektonisch und funktional optimal verknüpften Gebäudeteilen ist die neue Propsteikirche ein mehrdimensionaler, urbaner Lebensraum, der die umgebende Stadt bereichert.

 

Lichtdurchflutet und einladend

Mit seiner lichten Höhe von 14,50 m ermöglicht der Kirchenraum eine transzendente Raumerfahrung, die durch das große Oberlicht in 22 m Höhe intensiviert wird. Von hier fällt unterschiedlich stark das Tageslicht entlang der Altarrückwand in den Kirchenraum und bestimmt dessen Atmosphäre. Ein weiteres wichtiges Raumelement ist das große, ebenerdige Kirchenfenster des bekannten Künstlers Falk Haberkorn aus Leipzig, das die Kommunikation zwischen Gemeinde und Stadt sinnbildlich herstellt. Dem Fenster im Inneren gegenüberliegend befindet  sich die über 100 m² große Werktagskapelle. Gegenüber dem großen Kreuz an der Altarrückwand ist ein zweites Kreuz als dessen negativer Abdruck in die große Wandfläche über der Empore eingeschnitten. Es öffnet den Kirchenraum zum Licht der tiefstehenden Westsonne.

 

Regionale Baukunst mit emotionalem Wert

Alle Außenwände der Propsteikirche wurden mit einer massiven Naturstein-Fassade aus dem regional bedeutsamen Stein „Rochlitzer Porphyr“ verkleidet.

Damit führen die Architekten eine der ältesten Bautraditionen der Stadt Leipzig und der gesamten Region fort: bereits das Alte Rathaus der Stadt und das Benediktinerkloster zum Heiligen Kreuz im nahen Wechselburg wurden damit erbaut. Für die massiv aufgemauerte Fassade der neuen Propsteikirche mit rund 5.000 m² wurden etwas mehr als 1.000 t des langlebigen hellroten Vulkansteins verbaut. Die horizontale Schichtung der unterschiedlich hohen Lagen verankert das Gebäude fest mit dem Grundstück und lässt es sinnbildlich aus dem Boden herauswachsen. Durch die Vor- und Rücksprünge in der Schichtung wird die traditionsreiche regionale Baukunst überführt in ein zeitgenössisches eigenständiges Gebäude von besonders emotionalem Ausdruck.

 

Historisch und technisch zeitgemäß

Das qualitätsvolle Bild der Kirche wird ergänzt durch vielfältige moderne und energetisch sinnvolle Komponenten.

Mit 76 % stellt das Gebäude heute den Großteil der für die Nutzung erforderlichen Ressourcen wie Strom, Wärme und Wasser sogar selbst zur Verfügung. Die massiven Außenbauteile (Wände, Dächer) sind mit dem Material Schaumglas gedämmt. Mit einem mittleren U-Wert von 0,16 W/m²K unterschreitet die Bauteilgruppe „opake Außenbauteile“ den nach EnEV zulässigen mittleren U-Wert von 0,35 W/m²K um mehr als 50 %. Der Dämmstoff Schaumglas punktet mit einer besonderen Langlebigkeit und einer beachtlichen Druckfestigkeit – aktiviert aber auch die Werkstoffkreisläufe nachhaltig.

Das Material wird aus Altglas hergestellt und verbessert somit die Ökobilanz des Gebäudes zusätzlich. Die besondere Nachhaltigkeit des Projekts wird weitestgehend durch den Verzicht auf Verbundwerkstoffe und den Einsatz anpassungsfähiger technischer Anlagen und Systeme herausgearbeitet.

„Wir hatten uns hier zur Vorgabe gemacht, dass durch den Austausch, die Wartung oder eine mögliche Erweiterung einzelner Komponenten kein absehbarer zeitlicher und technologisch begrenzter Horizont entstehen soll“, erläutert A. Schulz. Zukünftigen Anforderungen werden diese planerischen Leistungen also überaus gerecht.

 

Nachhaltige Energieversorgung

Über die gestalterischen Aspekte hinaus wurde ein cleveres Energiekonzept etabliert, das sich im Wesentlichen auf die Nutzung von Erdwärme stützt. Bei diesem energetischen Konzept war es das erklärte Ziel, Dauerhaftigkeit, Alterung und Instandhaltungsfähigkeit in Einklang zu bringen. Zunächst wurde bei der Planung der mögliche Energiebedarf reduziert, um die technischen Bedarfe für das Gebäude möglichst gering zu halten. Der Referenzwert nach EnEV 2009 für den Primärenergiebedarf wird gemittelt für die Kirche um ca. 73 % unterschritten. Darüber hinaus wurden Mehrfachnutzungen von Bauteilen realisiert: Zum Beispiel werden die Erdsonden in Form von zwei Sondenfeldern mit 18 Erdsonden und einer Tiefe von 140 m nicht nur für die Heizung, sondern auch für die passive Kühlung im Sommer über die Industrie- und Fußbodenheizungsflächen verwendet.

Kirchen sind heute keine unbeheizten Räume mehr, müssen jedoch auch keine Standards wie bspw. ein Verwaltungsbau erreichen.

Bei der Wahl der Energiebereitstellung mittels Erdwärmenutzung wurde auf eine Technik gesetzt, die grundsätzlich durch einen eher geringen Wartungsaufwand überzeugt. Die Wärmepumpen sind angeschlossen an 18 Erdwärmesonden, die zudem – entgegen üblicher Technologien – zumindest in zentralen Bauteilen wie den Doppel-U-Erdsonden über eine im Vergleich weit höhere Beständigkeit verfügen.

Im Leitfaden Nachhaltiges Bauen (BMVBS / BMUB 01/13) wird Erdwärmesonden eine mittlere Lebenserwartung von 60 Jahren zugewiesen. Experten gehen jedoch von einer deutlich längeren Lebensdauer von bis zu 100 Jahren aus. Aus diesem Grund wurde ein Gutachten zur Geothermischen Beurteilung des Erdsondenfelds angefertigt, um die zu erwartende Lebensdauer der Erdwärmesonden im Projekt der Trinitatiskirche vorab zu simulieren. Etwaige hoch beanspruchte „Schwachpunkte“ des Systems wurden reversibel ausgeführt und können jederzeit ausgetauscht werden. Zentrale Verteiler im Gebäude und begehbare Verteilerschächte ermöglichen den beauftragten Wartungsexperten zu jeder Zeit einen einfachen Wartungs- und Instandhaltungszugriff. Für den langfristigen Betrieb wurde eine durchdachte Wartungsroutine vorbereitet. Die Gemeinde hat für die Temperierung einen Rahmen von mindestens 8/15 °C (ungenutzt/genutzt) definiert, um den Komfort nachhaltig zu sichern. Durch die thermische Trägheit der Flächenheizsysteme und durch die Wärmeerzeugung mittels Erdwärmesonden sowie das überaus große Raumvolumen von etwa 10.000 m³ ist die kurzfristige nutzungsspezifische Beheizung der Kirche problematisch und langfristig unwirtschaftlicher als eine gleichmäßige träge und speichermassennutzende Temperierung von 12 bis 15 °C. Die hohe Dämmwirkung von Wand-, Decken- und Bodenflächen unterstützt die gleichmäßige Temperierung der Räume. Die horizontal und vertikal geführten Lüftungs- und Sanitärinstallationen sind über alle Geschosse einfach zugänglich, reparierbar, demontierbar, erneuerbar und erweiterbar. „Wir haben extrem darauf geachtet, dass ein Nachrüsten von technischen Elementen immer möglich bleibt“, sagt Benedikt Schulz. „Dabei sehen wir das Bauwerk nicht als abgeschlossenes Werk, sondern immer in Interaktion mit zukünftigen Nutzungsansprüchen.“

 

Auszeichnung für herausragende Architektur

Mit dem Balthasar-Neumann-Preis stellen die Deutsche BauZeitschrift (DBZ) und der Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure e. V. (BDB) Berlin seit 1994 die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren heraus. Der Preis wird alle zwei Jahre verliehen und ist mit 10.000 Euro dotiert. Ausgezeichnet wird die beispielhaft innovative, über technisch etablierte Standards hinausgehende Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen an einem Bauwerk. Besonders die übergreifende Kooperation beim Bau ist ganz im Sinn Balthasar Neumanns, ebenso herausragende baukulturelle und technische Qualität.

 

Leichtigkeit und Offenheit beeindruckten die Jury

Städtebaulich füllt der markante Baukörper das dreiecksförmige Grundstück vollflächig aus und definiert damit deutlich wahrnehmbare Stadtraumkanten. Dabei bilden der Kirchenraum und der Kirchturm als gegenüberliegende „Pole“ zwei Hochpunkte, zwischen denen sich die Räume des Gemeindezentrums und der zentrale Pfarrhof aufspannen. Trotz der scheinbaren Schwere des Baukörpers mit seiner prägnanten Natursteinfassade ist es den Planern gelungen, optische Leichtigkeit und Offenheit für das neue Kirchengebäude zu erreichen. Wesentlich ist hier die Durchlässigkeit der Erdgeschosszone in Richtung Stadt, wodurch der Pfarrhof zum öffentlichen Platz wird. Konstruktiv umgesetzt wird dies durch zwei brückenartige Baukörper, die Kirchenbau und Gemeindezentrum verbinden und dadurch passagenartige Zugänge zum Pfarrhof bilden. Die anspruchsvolle Aufgabe, einen zeitgenössischen Kirchenneubau auf einem dreiecksförmigen Grundstück in prominenter Innenstadtlage von Leipzig zu errichten, hat das Planungsteam eindrucksvoll umgesetzt – so das Fazit der Jury.

Der Autor

Eva Mittner
Freie Journalistin

Eva Mittner ist Autorin und lebt in München. Nach Festanstellungen als Redakteurin und Pressesprecherin schreibt sie freiberuflich für verschiedene Architekturmedien. Sie hat sich zudem auf Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Architekten und Ingenieure spezialisiert.

Kontakt unter:
Eva.Mittner@gmx.de
www.architektur-journalismus.com

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