Schutzmaßnahmen vor Corona

Lüften an Schulen

Text: Dipl.-Ing. (FH) Steffen Riedel | Foto (Header): © fotogestoeber – stock.adobe.com

Das Coronavirus hat auch an Schulen das Thema Lüftung in den Fokus gerückt. Was dabei zu beachten ist und welche Konzepte in der Praxis tatsächlich sinnvoll sind, zeigen nicht zuletzt praktische Erfahrungen aus der Vergangenheit.

Auszug aus:

GEG Baupraxis
Fachmagazin für energieeffiziente und ressourcenschonende Neu- und Bestandsbauten
Ausgabe Januar / Februar 2021
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Das Drama hatte vor etwa 15 Jahren begonnen. Damals beschloss der Kreistag des Landkreises Lindau, trotz inständigen Zuredens von Fachleuten, für den Neubau einer Realschule aus Kostengründen auf Lüftungsanlagen zu verzichten – außer in den Fachräumen. Nachdem die Schule ohne Lüftung in den Klassenzimmern in Betrieb ging, gab es im darauffolgenden Sommer Schwierigkeiten, die Klassenzimmer zu belüften, da sich aus Sicherheitsgründen viele Fenster nicht richtig öffnen ließen. Beschwerden waren die Folge. Daraufhin wurden im folgenden Winter umfangreiche Messungen in Klassenzimmern durchgeführt, um die Luftqualität mit und ohne Lüftungskonzept zu analysieren. Das Ergebnis war niederschmetternd, überraschte aber die Fachleute nicht: Die CO2-Grenzwerte wurden weit überschritten und erreichten teils Konzentrationen von über 5.000 ppm. Jedenfalls musste sich der Landkreis Lindau als Sachaufwandsträger der weiterführenden Schulen und der Sonderschulen im Landkreis von der Presse wegen der fehlenden Lüftungsanlage als „Landkreis Schilda“ verspotten lassen. (Zitierte „Schildbürger“ vergaßen beim Bau ihres neuen Rathauses Fenster einzubauen und versuchten deshalb, mit Eimern das Sonnenlicht einzufangen.) Nach diesem Messergebnis wurde ein weiterer Beschluss für den Einbau einer Lüftungsanlage im Kreistag gefasst. Die nachträgliche Realisierung gestaltete sich schwierig, da der Einbau einerzentralen oder semi-zentralen Anlage, u. a. wegen damit verbundener Arbeiten zum Brandschutz, nahezu unmöglich war und der Markt zu dieser Zeit, was dezentrale Anlagen mit der entsprechenden Leistung betraf, noch recht „übersichtlich” war. Nach einigen Versuchsgeräten, ausschließlich Standgeräte, entschied man sich für ein Deckengerät der Firma LTM, das damals frisch auf dem deutschen Markt angeboten wurde. Die andere Realschule im Landkreis wurde im Zuge einer energetischen Generalsanierung ebenfalls mit Geräten dieser Marke ausgestattet. Auf das detaillierte Auswahlverfahren wird später noch einmal eingegangen.

Nach den rund acht Jahren, die die Geräte nun im Betrieb sind, kann man sagen: Sie haben sich bewährt. Insbesondere der Direktor der eingangs beschriebenen Realschule zeigte sich in einem Zeitungsinterview „happy“ damit, für Corona-Zeiten gerüstet zu sein. Er meinte, seine Kollegen und Schüler würden heute davon profitieren, dass der Landkreis die Klassenzimmer nachträglich mit dezentralen Lüftungsgeräten ausgestattet habe. Auf die Frage, wie denn die Luft in den Klassenräumen sei, meinte er „sehr, sehr gut“. Während des Unterrichts müsse, außer an heißen Sommertagen, kein Fenster geöffnet werden.

 

Messergebnisse Fensterlüftung

Im Oktober 2020 veröffentlichte das Umweltbundesamt im Auftrag der Kultusministerkonferenz eine vierseitige Anleitung „Lüften in Schulen“. Hier wird alle 20 Minuten Stoßlüften empfohlen, theoretisch ein dreifacher Luftwechsel. Es darf dabei unterstellt werden, dass man aus praktischen Gründen zu Beginn der Schulstunde, in der Mitte und am Ende lüftet, da eine Schulstunde 45 Minuten hat. In der Tat lässt sich durch eine einfache Rechnung zeigen, dass dabei zumindest theoretisch der CO2-Grenzwert von 1.500 ppm eingehalten wird. Bei einem angenommenen CO2-Ausstoß von 18 Litern pro Stunde und Person ergibt sich nach 22 Minuten unter Berücksichtigung des natürlichen Kohlendioxidgehalts in der Luft von 400 ppm eine CO2-Konzentration von ca. 1.471 ppm. Nach Stoßlüftung und weiteren 22 Minuten (Ende der Schulstunde) wären es wiederum 1.471 ppm. Würde man erst nach 45 Minuten lüften (eine Schulstunde), wären es ca. 2.543 ppm.

Doch es handelt sich um reine Theorie, legt man die Ergebnisse zugrunde, die damals die relativ umfangreiche Messung des Landkreises an der Schule vor Einbau der Lüftungsgeräte ergeben hatte. Von Januar bis März 2009 wurden an der Realschule in fünf Klassen Messungen zur Erfassung von CO2, Wasserdampf und Innentemperatur durchgeführt. Dabei wurden zwei Gruppen gebildet: In der ersten Gruppe wurde die Fensterlüftung nicht vorgeschrieben und nicht dokumentiert, in der zweiten Gruppe wurden die Zeiten für die Fensterlüftung vorgegeben und dokumentiert. Obwohl die Messung in den für natürliche Lüftung günstigen Wintermonaten durchgeführt wurde, zeigte sich, dass der vom Umweltbundesamt empfohlene dreifache Luftwechsel pro Stunde bei dreimaligem Lüften nicht erreicht wird.

Bei den Parametern Luftfeuchte und Innentemperatur zeigte sich, dass beim intensiven Lüften die Luftfeuchte entgegen der Befürchtungen nur kurzzeitig kritische Werte unter 30 Prozent erreichte, sich aber dann sofort wieder in Bereiche zwischen 35 und 50 Prozent einpendelte. Die Raumtemperatur hingegen sackte auf bis zu 15 °C ab, was das Lüften über Fenster insbesondere bei kalten Außentemperaturen bremsen dürfte. Was die CO2-Konzentration betrifft, ergab die Messung, dass trotz Lüften der Grenzwert von 1.500 ppm mit schöner Regelmäßigkeit nicht nur übertroffen wurde, sondern zeitweise der MAK-Wert von 5.000 ppm überschritten wurde (Bild 2). Die Überschreitung des MAK-Werts in Höhe von über 5.000 ppm zeigte sich insbesondere bei unkontrolliertem, nicht dokumentiertem Lüften (Bild 3).

Bei kontrollierter dokumentierter Lüftung zeigte sich, dass die CO2-Konzentration zwar absackte, aber den Grenzwert von 1.500 ppm nicht erreichte, geschweige denn unterschritt. Dafür wurde auch hier der MAK-Wert bis zum Unterrichtsende überschritten (Bild 4). In einem anderen Klassenzimmer wurde zwar der MAK-Wert nicht erreicht, war aber mit einem Spitzenwert von 3.000 ppm dennoch doppelt so hoch wie der Grenzwert. Durch mehrmaliges Lüften ließ sich zwar der CO2-Pegel senken, erreichte aber den Grenzwert von 1.500 ppm erst, als das Klassenzimmer nicht mehr besetzt war, um am Morgen wieder mit dem Umgebungswert von 400 ppm zu beginnen (Bild 5). Als vollkommen untauglich hat sich mit Werten von weit über 5.000 ppm das Lüften über geöffnete Klassenzimmertüren offenbart (was im Übrigen ggf. auch passieren könnte, wenn statt Lüften Raumluftfilter mit Virenfunktion eingesetzt werden). Insgesamt lag der CO2-Mittelwert während der Unterrichtszeit bei 1.657 ppm. Erst mit Lüftung nach Unterrichtsende wurde mit 400 ppm wieder Außenluftqualität erreicht.

 

Lüftung für die Schule

Der nachträgliche Einbau einer Lüftung an eingangs beschriebener Realschule gestaltete sich schwierig, da zu diesem Zeitpunkt kein zufriedenstellendes Gerät auf dem Markt war. Zudem wollte der Architekt die Fassade in der bestehenden Form erhalten wissen. Es wurden insgesamt vier Geräte, drei Standgeräte und ein Deckengerät, getestet. Geprüft wurden die Geräte hinsichtlich Leistungsfähigkeit, Geräuschentwicklung, Zugerscheinungen, Durchmischung, Einblastemperatur und Optik. Wichtigste Kriterien waren Geräuschentwicklung, Zugerscheinung und Durchmischung der Luft.

In Klassenzimmern liegt eine komfortable Sprechlautstärke bei etwa 55 bis 65 dB. Bei einem Pegelverlust quer durch das Klassenzimmer (-10 dB) und einem guten Signal-Rausch-Pegel-Verhältnis (-15 dB) bis in der hintersten Reihe sollte der Störgeräuschpegel im Klassenzimmer höchstens 40 dB betragen. In tiefen Konzentrationsphasen, wie bei Klassenarbeiten, braucht es nochmal ca. 5 dB mehr Ruhe, also max. 35 dB. Zudem darf es nicht ziehen, da der Mensch auf Zug empfindlich reagiert. Schon eine Luftgeschwindigkeit von 10 cm pro Sekunde oder 0,36 km/h ist auf der Haut spürbar.

Ein Hauptaugenmerk der Planer lag auch auf der Akzeptanz für die verschiedenen Varianten vonseiten der Lehrer und Schüler. So wurden Befragungen und sog. Überkreuz-Tests durchgeführt. Bei diesen Tests wechselten Klassen zwischen Räumen mit unterschiedlichen Lüftungsgeräten. Bei der Auswertung stimmte die subjektive Beurteilung nicht immer mit der nach Messwerten überein. Das zeigte v. a. das Thema Akustik: Die etwas „lautere“ Anlage schnitt in der subjektiven Bewertung besser ab, als es nach den in der Klassenmitte gemessenen Werten zu erwarten war. Hier bestand also eine gewisse Toleranz. Die Zugfreiheit testete neben Schülern und Lehrern die damals stellvertretende Landrätin, die auf gut „Allgäuerisch“ kommentierte: „A wengle zieahts scho, aber passt scho.“

Gewählt wurde schließlich das LTM-Deckengerät, das damals neu auf den Markt gekommen war. Ein Problem war, dass die Klassenräume aus unerfindlichen Gründen eine zweifach abgestufte Decke hatten, die das ungestörte Einlasen der Frischluft unter der Decke mit dem für das Einblasen von Luft förderlichen Coanda-Effekt erschwerten. Beim dänischen Vorbild-Modell der Firma Airmaster saß die Einblasöffnung noch am oberen Rand, weshalb die Zuluft bereits nach dem ersten Sturz auf die darunter sitzenden Schüler abgestürzt wäre. Erst mit dem LTM-Gerät, das die Einblasöffnung tiefer gelegt hatte, war es möglich, die Luft bis zur Rückwand so gut wie zugfrei einzublasen (Bild 7). Die Abluft wird an der Öffnung auf der Seite abgesaugt, wobei gleichzeitig CO2-Gehalt gemessen wird. Auch die Optik der Fassade wurde gewahrt. Zwar mussten dazu die Fenster im oberen Bereich geändert werden, was die Gesamtkosten erhöhte, doch so fügten sich die kombinierten Außenluft- und Fortluftöffnungen der Geräte kaum erkennbar, harmonisch in die Außenhaut der Schule ein.

Nach Einbau der Deckengeräte behielt ein Klassenzimmer ein Jahr lang das installierte Messsystem. Die Daten wurden periodisch ausgewertet. Dabei bestätigten die Ergebnisse, dass der Zielwert für die Luftqualität von maximal 1.500 ppm CO2 erreicht wurde, was – bezogen auf eine durchschnittliche Klassenzimmergröße – 3,2-fachen Luftwechsel (drei Mal lüften) bedeutet. Besonders wichtig war, dass auch die Raumluftfeuchte in einem Bereich von ca. 45 Prozent (+/- 5 %) blieb, wodurch die Staubbelastung, die bei zu trockener Luft zu Allergieerscheinungen (z. B. scheinbar trockenem Hals und roten Augen) führt, vermieden wurde. Der Stromverbrauch auf ein Jahr und 23 Klassenzimmer hochgerechnet ergab ca. 3.500 Kilowattstunden (Stromverbrauch eines Drei-Personen-Haushalts). Er lag etwas höher, da im Nachgang der elektrische Frostschutz nachjustiert werden musste. Die Einsparung durch die Wärmerückgewinnung brachte im Dreijahresvergleich ca. 52.000 kWh pro Jahr, was witterungsbereinigt einer Einsparung von ca. 20 Prozent entspricht.

 

Mechanisch toppt natürlich

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Coronazeiten ohne Lüftungsgerät kein ausreichender, vom Umweltbundesamt geforderter dreifacher Luftwechsel in einem Klassenzimmer mit einem CO2-Grenzwert von 1.500 ppm möglich ist. Eine Fensterlüftung alle 20 Minuten erreicht im günstigsten Fall etwa einen zweifachen Luftwechsel. Zudem gilt es zu beachten, dass gerade im Winter die Außenluft bei Fensterlüftung kalt und unangenehm ist, während eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung die Luft mit einer angenehmen Temperatur zugfrei einbläst. Dezentrale Geräte kosten dabei zwar etwa doppelt so viel wie brauchbare Raumluftfilter mit Virenfunktion, aber es kann sein, dass diese Raumluftfilter wegen der Zugbelastung aufgrund der Position der Ausblasöffnungen in Sitz- oder Stehhöhe und des hohen Luftdurchsatzes sowie der von ihnen erzeugten Geräuschkulisse auf Dauer abgeschaltet werden. Überdies können sie das Lüften nicht ersetzen. Am Einbau einer kontrollierten Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung an unseren Schulen führt letztlich kein Weg vorbei.

Der Autor

Dipl.-Ing. (FH) Steffen Riedel
Der Versorgungsingenieur war bis zu seinem Ruhestand Klimaschutzmanager des Landkreises Lindau. Zudem war er Passivhauszertifizierer (PHI Darmstadt) und über 20 Jahre lang Vor-Ort-Berater nach BAFA. An der Hochschule Kempten hat er einen Lehrauftrag für Gebäudeenergietechnik.

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